Innenpolitik

Von brennenden Autos und Vorverurteilungen

In Berlin brannte ein Auto. Für Berliner*innen ist das keine neue Meldung. Und wer all diese Autos anzündet ist scheinbar auch vollkommen klar, wenn selbst im Nachrichtenportal auf berlin.de steht: „Nacht für Nacht zünden Linksextremisten in Berlin Autos an – als Reaktion auf die Teil-Räumung in einem von Autonomen bewohnten Haus.“

Dieses Mal brannte es also in Lichtenberg. Schon zum zweiten Mal in dieser Woche. Die Brandstiftungen in der Schulz-Boysen-Straße vom Dienstag? Ganz klar, das waren die Linken, die den VW Caddy, Opel Meriva und den Nissan Micra angezündet haben, weil wegen der Rigaer Straße und so. Diesen Eindruck bekam man zumindest, wenn man in den letzten Tagen die Medien zu diesem Thema verfolgte.

Nun brannte es in der Nacht zu Mittwoch in der Tasdorfer Straße, einer Parallelstraße zur Schulze-Boysen-Straße. Eigentlich hatte man es bei drei Fahrzeugen versucht, aber bei zweien war dies gescheitert. Doch dann gab es eine Festnahme und Frank Henkel, seines Zeichen Innensenator von Berlin, verkündete freudig die Nachricht aus der Nacht. Es gibt Lob für die Polizei und der Innensenator sieht sich in seiner Strategie bestätigt. Auch in den Medien wird schnell über die Festnahme berichtet.

So schrieb die BILD-Zeitung am Morgen „SEIT WOCHEN HÄLT LINKSAUTONOME FEUER-SERIE AN – Auto-Brandstifter in Berlin festgenommen – Hat die Berliner Polizei endlich einen der linken Feuer-Chaoten gefasst?“

 

Für die politischen Verantwortlichen wäre es wohl eine Erleichterung, wenn sie Erfolge gegen die Brandstiftungen der vergangenen Wochen vorzeigen könnten. Immerhin berichten alle großen Berliner Tageszeitungen über brennende Fahrzeuge und es ist Wahlkampf. Und den Wahlkampf will man sich natürlich nicht kaputt machen lassen. Also gründete man die SoKo LinX, denn der Druck ist da und schnelle Erfolge müssen her.

 

Derzeit sieht es aber eher danach aus, dass der Festgenommene allen Vermutungen der letzten Wochen widerspricht. Seine öffentlichen Facebookbeiträge machen deutlich, dass er Flüchtlinge und die Antifa hasst und sich lieber auf Veranstaltungen wie Bärgida und Pogida aufhielt. Zur linken Szene gehört er damit sicher nicht und der Artikel auf Indymedia verspricht einiges, nur keine wirklichen guten Nachrichten für die Berliner Politik. Scheinbar handelt es sich bei ihm auch um einen bereits bekannten Brandstifter, der nach einer Festnahme vor einigen Jahren auch bereitwillig der Polizei Informationen aus der linken Szene in Berlin gab, die jedoch vor allem aus Gerüchten und weniger aus Insider Wissen bestanden.

Also noch einmal: Der Festgenommene ist also gar kein linker, sondern einer, der die Linken (insbesondere Antifa und Rigaer 94) scheinbar ziemlich hasst und bei diesem Mann liegt der dringende Tatverdacht vor, Fahrzeuge angezündet zu haben. Der Verdacht liegt nahe, dass das möglicherweise nicht seine ersten brennenden Fahrzeuge waren, allein schon durch die unmittelbare Nähe zur Schulze-Boysen Straße, in der es am Dienstag gebrannt hatte und den Fahrzeugtypen, die nicht zum üblichen Schema linker Brandstiftungen gehören. Diese Frage dürfte auch ein Punkt im Ermittlungsverfahren der Polizei sein.

Letztendlich bringt diese Festnahme einen interessanten Aspekt hervor, denn die Brandstiftungen in der Schulze-Boysen-Straße wurden medial und politisch sofort der Rigaer Straße zugeordnet. So schrieb der Tagesspiegel in seiner Online-Ausgabe vom 05.07.2016: „Linksextreme stecken weiter Autos in Brand, beschmieren Fassaden. Dahinter werden Unterstützer der Rigaer Straße vermutet.“ Auch der Berliner Kurier titelte am gleichen Tag: „Linke Chaoten Jetzt brennen auch Kleinwagen und Familienkutschen“ und schrieb dazu: „Es sind Brandanschläge auf den kleinen Mann. (…) Die Polizei vermutet die Täter in allen Fällen in der linken Szene. Die Ermittlungsgruppe LinX untersucht die Brandanschläge.“ In den letzten Wochen fiel (gefühlt) bei jeder Meldung zu einem brennenden Fahrzeug, eingeworfenen Scheiben oder einer brennenden Mülltonne im nächsten Atemzug auch sofort „Rigaer 94“.

 

In der Rigaer Straße 94 herrscht zur Zeit Unruhe, das steht außer Frage. Aber irgendwie kann man das auch nachvollziehen. Mindestens seit Januar stehen regelmäßig Gruppenstreifen der Polizei vor dem Haus, kontrollieren die Anwohner*innen aus dem Kiez, vor wenigen Wochen stand dann die Polizei direkt im Haus um ein Bautrupp zu schützen. Es soll renoviert werden, für Flüchtlinge, sagt die Lafone Investment Ltd. Wie wahrscheinlich das bei den derzeitigen Preise des Wohnungsmarkts in Friedrichshain ist, kann sich jede*r selbst ausrechnen. Seit dem gehen also Bautruppen ein und aus, geschützt von Sicherheitsdiensten und der Polizei, an denen die Bewohner*innen des Hauses täglich im Hausflur vorbei müssen und sich regelmäßig zynisch, provokative Bemerkungen gefallen lassen müssen. Zwischendurch hat dann plötzlich ein Teil des Hauses keinen Strom mehr, weil der Bautrupp am Sicherungskasten hantiert hat und der Zugang zu ihren angemieteten Kellerräumen wird ihnen verwehrt. Die Situation im Haus und im Kiez ist zur Zeit keine einfache. Es wird unnötig provoziert und eine Beruhigung der Situation ist derzeit nicht in Sicht.

 

Es steht außer Frage, dass es auch Leute gibt, die sich der linken Szene zuordnen und Sachbeschädigungen begehen. Auch das ist nicht neu in Berlin. Neu dagegen ist aber, dass mittlerweile (gefühlt) jede Sachbeschädigung auf die Rigaer 94 gemünzt wird. Die BILD-Zeitung veröffentlichte am 27.06.2016 online eine Übersicht mit dem imposanten Titel: „BRENNENDE AUTOS, ZERTRÜMMERTE SCHEIBEN – Der Krieg der linken Chaoten in Berlin“. Darin finden sich auch solchen Perlen, wie eine Bushaltestelle in der Schlesischen Straße, die am 23. Juni 2016 entgast worden war. In einer Gegend, in der auch am Donnerstag Abend durch die vielen umliegenden Clubs immer ziemlich viel los ist, ist absolut klar, dass „linke Chaoten“ dort ihr Unwesen getrieben haben und nicht möglicherweise auch andere Gruppen manchmal Sachbeschädigungen begehen könnten?

Die schönste Stelle in der Sammlung der BILD-Zeitung ist aber die Meldung für den 25. Juni: „Gegen 4 Uhr wurde außerdem ein Audi im Ortsteil Neu-Hohenschönhausen schwer beschädigt. Auch hier vermutet die Polizei Brandstiftung. Ermittlungen ergaben zudem, dass der Wagen kurz zuvor in der Nähe gestohlen worden war.“ Da wird im Norden Hohenschönhausens ein Auto gestohlen, die unbekannten Personen fahren damit ein wenig durch den Kiez und danach wird der Wagen angezündet und daraus wird geschlussfolgert, dass auch das linke Chaoten waren. Really? An schlechtem Wetter dann wohl auch die Rigaer94 schuld?

Ja, es gibt linke Straftaten, aber ganz im Ernst, könnten wir alle wieder anfangen etwas ruhiger bei diesem Thema zu werden? Nicht jede Straftat, die in dieser Stadt passiert, ist der linken Szene zuzuweisen – auch nicht jedes brennende Auto, wie es die 28 angezündeten Fahrzeuge in Oberschöneweide deutlich machen oder der nun in Lichtenberg festgenommene.

Die Festnahme in Lichtenberg zeigt auch, welche absurden Züge die Berichterstattung längst angenommen hat. So schrieb eine Berliner Tageszeitung in ihrem täglichen WhatsApp Broadcast: „Der Autobrandstifter von der Rigaer Straße ist gefasst. Jetzt kommen überraschende Details über ihn ans Tageslicht“. Zu dieser Zeit war jedoch längst klar, dass der Festgenommene kein Unterstützer der Rigaer94 ist. Aber für Klicks auf die eigene Seite wird eben lieber eine reißerische Ankündigung genommen, eben weil das Thema medial derzeit allgegenwärtig ist.

 

Übrigens schadet manchmal der Blick zurück nicht. Ein Thema, um das man im Jahr 2011, dem Jahr der letzten Berlin-Wahl, nicht herum kam, waren brennende Fahrzeuge. Damals kandidierte der Spitzenkandidat der CDU, Frank Henkel, gern mit Slogans, wie „Berlin ist Hauptstadt des linken Terrors – Handeln Sie endlich, Herr Körting!“ (Auf dem Bild waren selbstverständlich ausgebrannte Fahrzeuge zu sehen). Im Jahr 2011 hatte es 537 angezündete Fahrzeuge gegeben, wobei die meisten Fahrzeuge im Sommer brannten. Die wenigsten davon waren jedoch politisch motiviert gewesen.

Damals forderte die CDU mit Frank Henkel übrigens immer wieder eine SoKo gegen Linksextremismus und mehr Polizeikräfte. Einen kleinen, aber interessanten Abstecher zu diesem Thema kann man beim Tagesspiegel finden.

Die von der CDU bis zum September 2011 geforderte SoKo LinX gibt es seit diesem Jahr. Ihre Gründung hatte also nur knapp 4 1/2 Jahre nach der Wahl gedauert. Böse Zungen könnten jetzt natürlich behaupten, dass in dieser Zeit einfach kein Wahlkampf war. Oder aber, man hätte das Thema ein wenig vergessen.

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Ein kurzer Hinweis zum Schluss: Das soll kein verärgertes Medienbashing sein und es ist klar, dass die Medien vor allem das machen, was die Leser*innenschaft am liebsten hat: sehr schnelle, prägnante Informationen, zu einem Thema, das irgendwie alle berührt. In den meisten Fällen ist auch bei weitem nicht genug Zeit noch lang zu recherchieren welchen Grund die gemeldete Sachbeschädigung haben könnte, aber ein bisschen Ruhe und Unaufgeregtheit in der Berichterstattung könnte vielleicht dazu beitragen, dass es auf allen Seiten wieder etwas entspannter wird.

Das gleiche richtete sich übrigens auch an die politischen Kräfte der Stadt. Ja, es ist Wahlkampf und der eigene Name in der Zeitung schadet da sicherlich nicht, aber manchmal ist es auch klüger, nicht über jede Kleinigkeit eine reißerische Meldung zu verfassen und neben ausgebrannten Fahrzeugen für das perfekte Wahlkampffoto zu posieren.

 

Autorin: Anne Meyer, stellv. Landesvorsitzende

Der Autor: Jusos Berlin

Mit fast 5.000 Mitgliedern sind wir die größte politische Jugendorganisation Berlins. Allerdings verstehen wir uns nicht als brave Partei- oder Regierungsjugend, die zu Wahlkampfzeiten nur Plakate klebt. Vielmehr sind wir unserer Mutterpartei in kritischer Solidarität verbunden.

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