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Carsharing, Flatsharing, Arbeiter*innensharing!? Warum Leiharbeit seit Jahren boomt und was wir dagegen tun müssen

Vergangenen Mai hat unsere Arbeitsministerin Andrea Nahles einen Gesetzesentwurf zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen vorgelegt. Stolz sagte sie bei der Vorstellung des Entwurfes „Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt eine gesetzliche Regelung, die ganz eindeutig die Rechte der Leiharbeitnehmer stärkt.“

Zwar war dies ein notwendiger Schritt, den wir Jusos schon seit Jahren fordern. Doch gibt es das Instrument der Leiharbeit schon seit Jahrzehnten und dennoch ist sie erst seit den letzten Jahren stark aus den Fugen geraten. Waren 1996 etwa 170.000 Arbeitnehmer*innen in Leiharbeitsfirmen beschäftigt, sind es heute knapp eine Millionen Menschen in Deutschland. Wie konnte das eigentlich passieren?


Eine kleine Geschichtsstunde

Die Arbeitnehmer*innenüberlassung ist in den 50er Jahren in den USA entstanden und hat dann relativ schnell den europäischen Kontinent erobert. Sie bietet Arbeitgeber*innen die Möglichkeiten zur Abdeckung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalbedarfen bei darauf spezialisierten Firmen Arbeitnehmer*innen zu entleihen. Die Leiharbeiter*innen sind bei der Leiharbeitsfirma angestellt und haben keine Arbeitsverträge mit den Betrieben, in denen sie ihre Arbeit verrichten. Soweit die Theorie. Die hat auch recht lange recht „gut“ funktioniert, wenn man von der generellen Unsicherheit absieht, die für die Arbeitnehmer*innen mit den wechselnden Einsätzen verbunden ist. Der Grund dafür liegt bei einem Blick auf das damals geltende Gesetz auf der Hand: Neben einem Befristungsverbot im Leihunternehmen, dem Synchronisationsverbot, welches untersagte, Arbeitsverträge der Arbeiter*innen zeitlich mit der Dauer des bevorstehenden Einsatzes zu synchronisieren, dürften Leiharbeitende nicht länger als drei Monate an denselben Betrieb verleihen werden. Im den 80er Jahren wurde das Gesetz, welches den Zweck hatte, die Arbeiter*innen vor den Unsicherheiten ihrer Branche zu schützen, von dem CDU-Kanzler Helmut Kohl nach und nach gelockert, bis die maximale Einsatzdauer in einem Betrieb 24 Monate betragen durfte.

Dann kam Gerhard Schröder und brachte die Agenda 2010 mit. Zum Zwecke der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ wurden viele rechtliche Rahmenbedingungen ersatzlos gestrichen. Darunter waren beispielsweise die Beschränkung der Höchstüberlassungsdauer, das Synchronisationsverbot, das Befristungs- und Wiedereinstellungsverbot – kurzum: alles, was Leiharbeitende jemals vor den Risiken ihrer Arbeit schützen sollte. Pro Forma wurde damals schon der EqualPay-EqualTreatment-Grundsatz eingeführt, der aber relativ leicht umgangen werden konnte und in der Konsequenz natürlich auch umgangen wurde.

 

Nun ham wa den Salat

Wie ihr Euch vorstellen könnt, explodierten nach der „Liberalisierung“ der Leiharbeitsbranche die Zahlen der in einer Leiharbeitsfirma beschäftigten Menschen. Neben der Tatsache, dass sie aufgrund ihrer vielfach schlechteren Bezahlung, Arbeitsbedingungen und den fehlenden betrieblichen Mitbestimmungsrechten zu Arbeiter*innen zweiter Klasse degradiert werden, birgt die hohe Zahl an Leiharbeitenden große Risiken für die gesamte Arbeiter*innenschaft. Viele Betriebe nutzen die Leiharbeit auch, um die betriebliche Mitbestimmung auszuhebeln. Dazu muss man wissen, dass für die Bestimmung der Größe von Betriebsräten die Anzahl der abhängig Beschäftigten herangezogen wird. Indem nun möglichst viele Leiharbeitnehmer*innen einstellt werden, die nicht zur Stammbelegschaft zählen, wird die Anzahl der Betriebsratsplätze künstlich gedrückt und damit das betriebliche Mitbestimmungsrecht der gesamten Belegschaft geschwächt. Hinzu kommt, dass es lange Zeit möglich war, Leiharbeiter*innen als Streikbrecher*innen einzusetzen, was wie man sich vorstellen kann starke Entsolidarisierungseffekte bei den Stammbelegschaften hervorgerufen hat.

Es ist kaum vorstellbar, dass es Sozialdemokrat*innen waren, die diese Deregulierungen mit ihren absehbar schweren Folgen initiiert und getragen haben und es ist auch dieser Schritt, der zu einem Bruch zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung geführt hat, wie ihn die Geschichte vorher noch nicht erlebt hat. Das werfen wir unseren Genoss*innen bis heute vor – mit Recht!

 

Andreas neue Maßnahmen

Andrea hat jetzt ein Stück weit versucht, den Zeiger wieder zurück zu drehen. Ihr Gesetz sieht vor, dass wieder eine Höchstüberlassungsdauer von grundsätzlich 18 Monaten eingeführt wird. Der Wermutstropfen ist hierbei, dass die Tarifpartner*innen (Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenvertretungen) sich in ihren betreffenden Branchen über eine längere Höchstüberlassungsdauer einigen können, wenn dies auf Grundlage von Tarifverträgen geschieht.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die nun ernstzunehmende Einführung eines EqualPay-Grundsatzes nach neun Monaten. In bestimmten Branchen bestehen jedoch schon heute tarifliche Lösungen, die in den ersten neun Monaten eine stufenweise Steigerung des Entgeltes vorsehen. Im Falle des Vorliegens eines solchen Tarifvertrags gibt es die Möglichkeit, vom Grundsatz der gleichen Bezahlung abzuweichen. Dies gilt aber nur dann, wenn Tarifverträge bestehen, die spätestens nach sechs Wochen Zuschläge vorsehen.

Nach dem Willen der Arbeitsministerin soll dies zu einer steigenden Zahl von abgeschlossenen Tarifverträgen zwischen Leiharbeitsbranche und Gewerkschaften führen und die Arbeitsbedingungen jener Leiharbeiter*innen verbessern, die für einen kürzeren Zeitraum als neun Monate entliehen sind.

Daneben besteht die vielleicht bedeutendste neue Regelung in dem Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmer*innen als Streikbrecher*innen.

 

Viel Licht und viel Schatten

Natürlich erkennt man diesem Gesetz an, dass es aus einem Kompromiss mit CDU und CSU hervorgeht. Aber daran messen wir ja zum Glück unsere Ansprüche an Gesetzesinitiativen aus SPD-geführten Ministerien nicht.

Zu kritisieren ist aus jungsozialistischer Sicht sicher grundsätzlich, dass das Gesetz so viele Hintertüren offenlässt, die die Arbeitgeber*innen schon in der Vergangenheit für sich zu nutzen wussten und die überhaupt erst zu diesem starken Missbrauch der Leiharbeit geführt haben, der heute leider alltägliche Routine geworden ist.  Regelungen zwischen den Tarifpartner*innen und eine damit einhergehende Stärkung der Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften werden von uns stets gutgeheißen. Aber gehört es nicht auch zur Ehrlichkeit dazu, dass wir uns durchaus Situationen vorstellen können, in denen Gewerkschaftsvertreter*innen sich gezwungen sehen eine branchenspezifische Regelung zu einer längeren Höchstüberlassungsdauer zu akzeptieren? Ich zumindest bin da recht kreativ.

Aus linker Sicht muss darüber hinaus auch die Länge der Höchstüberlassungsdauer kritisiert werden. Statistiken zeigen, dass die meisten Leiharbeitenden eh nicht länger als sechs Monate in einem Betrieb bleiben. Die Entscheidung, die Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate zu beschränken wird sich also auf die meisten Leiharbeitnehmer*innen nicht positiv auswirken. Dennoch ist nicht zu unterschätzen, wie wichtig es ist, dass die Entsendungsdauer überhaupt wieder reglementiert ist. Dies wird es in Zukunft möglicherweise leichter machen, eine weitere Regulierung hin zu einer kürzeren Höchstüberlassungsdauer durchzusetzen.

 

Die jungsozialistische Sicht auf Leiharbeit

Viel wichtiger als die Frage, wie wir das Gesetz aus dem Arbeitsministerium finden, sollte für uns die Frage sein, wie wir grundsätzlich zu Leiharbeit stehen.

Dass wir für EqualPay und EqualTreatment einstehen und uns für eine möglichst kurze Höchstüberlassungsdauer einsetzen, ist für uns Jungsozialist*innen eine Selbstverständlichkeit. Eine Idee, die wir zwar schon diskutiert und verabschiedet, aber noch nicht lautstark genug nach außen vertreten haben, ist die des Flexibilitätszuschlags: Wer sich als Leiharbeitnehmer*in den Unsicherheiten der Leiharbeitsbranche stellt, soll vom ersten Tag an einen Zuschlag von 10 Prozent des Bruttolohns der Stammbelegschaft erhalten. Da das Instrument der Leiharbeit – jedenfalls theoretisch – lediglich zum Abbau von Produktionsspitzen in konjunkturstarken Zeiten dienen soll, ist diese Forderung aus meiner Sicht nur konsequent und sollte von uns wieder stärker forciert werden.

Ein weiterer Punkt, der bei uns in der Vergangenheit diskutiert wurde, ist die Forderung eines grundsätzlichen Verbotes der Leiharbeit. Auch hierfür lassen sich gute Argumente finden. Warum sollte der Flexibilitätswunsch der Arbeitgeber*innen eigentlich auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen ausgetragen werden? Es kann Arbeitgeber*innen grundsätzlich zugemutet werden, ihre Personalplanungen sowohl auf Produktionsspitzen als auch auf -tiefen auszurichten.

Weiterhin hält sich die These, dass Leiharbeit sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnisse verdränge. Bei einer Abschaffung der Leiharbeit würden also automatisch mehr Arbeitsplätze außerhalb der Leiharbeitsbranche geschaffen werden… oder!?

Ich persönlich bin davon nicht ganz überzeugt. Für viel wahrscheinlicher halte ich eher, dass die Arbeitgeber*innen bei ihrer Stammbelegschaft bleiben und diese zu Produktionsspitzen mit massig vielen Überstunden belastet wird. Die Logik der Mehrheit der Arbeitgeber*innen entspricht es zumindest nicht, über ihren Bedarf hinaus Menschen zu beschäftigen.

In einer Welt, in der die Leiharbeit wieder ordentlich reguliert ist – von mir aus auch wieder auf dem Niveau von 1972, mit einer Höchstüberlassungsdauer von drei Monaten, der Durchsetzung des EqualTreatment-Grundsatzes und einem Flexibilitätszuschlag von 10 Prozent auf das Bruttogehalt der Stammbelegschaft – stellt diese Form der Beschäftigung meiner Ansicht nach keine Gefahr mehr für die in ihr Beschäftigten und den Arbeitsmarkt an sich dar. Wichtig ist hier zu beachten, dass viele Niedrigqualifizierte ihre erste richtige Chance sich auf dem Arbeitsmarkt zu beweisen durch Leiharbeitsfirmen bekommen und dadurch aus der Erwerbsarbeitslosigkeit herauskommen. Selbst wenn nicht die Mehrheit der Leiharbeitenden nach ihrem Einsatz in Betrieben von diesen übernommen wird, trifft dies dennoch für eine beachtliche Minderheit zu, die durch die Leiharbeit somit einen Zugang in ein Normalarbeitsverhältnis findet.

Leiharbeit ist nicht von Grund auf schlecht. Sie muss aber wieder in einem ordentlichen Rahmen stattfinden und diesen müssen wir immer wieder lautstark einfordern. Es ist nämlich – wie so oft –  alles eine Frage der richtigen Regulierung.

 

Autorin:

Sinem Tasan, stellvertretende Landesvorsitzende

Der Autor: Jusos Berlin

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