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Wahljahr in Polen – Was der Ausgang der polnischen Präsidentschaftswahlen über unsere (Ost-)Europapolitik aussagt

Im zweiten Wahlgang der polnischen Präsidentschaftswahlen fiel am 24.05.2015 die Entscheidung über das künftige Staatsoberhaupt Polens. Dass in Polen in diesem Jahr neben den Präsidentschafts-, auch Sejm-, also Parlamentswahlen stattfinden, scheint allerdings eher wenig wahrgenommen zu werden. Zu wenig, wenn man die Überraschung bedenkt, mit der der Sieg des rechtskonservativen Andrzej Duda (PiS) gegen Amtsinhaber Bronisław Komorowski (PO) aufgenommen wird. Dabei sagt der Ausgang dieser Präsidentschaftswahlen eine Menge darüber aus, wie wir in Bezug auf unsere EU-Partner*innenländer in Ostmitteleuropa agieren.

Nach der politischen Wende Polens hin zur Dritten Polnischen Republik mit den freien Parlamentswahlen im Juni 1989 hat sich das Parteiensystem Polens mehrfach drastisch verändert. In den letzten zehn Jahren haben sich zwei Parteien als die wesentlichen Kontrahent*innen um politische Wahlerfolge etabliert: Die Platforma Obywatelska (PO, „Bürger*innenplattform“) und Prawo i Sprawiedliwość (PiS, „Recht und Gerechtigkeit“). Der wirtschaftsliberalen PO gehören neben dem bisherigen Staatspräsidenten Komorowski auch Regierungschefin Ewa Kopacz und der ehemalige Ministerpräsident und jetzige EU-Ratspräsident Donald Tusk an. Die von Jarosław Kaczyński geführte Partei PiS ist rechtspopulistisch, rechtskonservativ und wertepolitisch tief katholisch. Sie kann sich der Unterstützung der mächtigen kirchlichen Würdenträger sicher sein. Der Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD, Bund der demokratischen Linken) stagniert seit Jahren aufgrund fehlender politischer Antworten auf soziale Probleme und dem weit verbreiteten Vorwurf in ihm seien ehemalige kommunistische Stasi-Kader zu mächtig. Die Paradoxie besteht darin, dass vor dem Hintergrund dieser Gemengelage selbst Jungsozialist*innen auf einen Erfolg der wirtschaftsliberalen PO hoffen, damit Wahlsiege von PiS verhindert werden.

Es greift zu kurz, diese Veränderungen alleine den Widersprüchen der Nach-Wende-Zeit zuzuschreiben. Polen hat einerseits das größte Wirtschaftswachstum aller EU-Staaten und andererseits mit der Arbeitsemigration junger, gut ausgebildeter Menschen in andere EU-Staaten (die meisten in Großbritannien, Irland und Deutschland) zu kämpfen. Gleichzeitig besteht eine möglicherweise irrationale, aber aus der Geschichte Polens heraus immanente Angst vor einer Aggression Russlands. Der Krieg im Nachbarland Ukraine bleibt Gesprächsthema Nummer eins. Zum besseren Verständnis dieser diffusen Ängste eines EU- und NATO-Mitgliedsstaates sei darauf hingewiesen, dass der „von Ribbentrop-Molotow-Pakt“ und seine Auswirkungen in Polen nicht nur historisch beflissenen Menschen ein Begriff sind. Viel mehr gehört er in Kombination mit dem Wissen um die geopolitische Lage Polens und die Geschichte der Teilung Polens durch Preußen, Österreich-Ungarn und das Russische Zarenreich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum tief verwurzelten kollektiven Gedächtnis der polnischen Bevölkerung.

Die Identifikation mit der Europäischen Union ist heute ambivalent und sicher nicht flächendeckend vorhanden, selbst wenn sich in dieser Hinsicht nach und nach Verbesserungen feststellen lassen. Insbesondere unter jungen Menschen und in urbanen Räumen sinken Vorbehalte, wird europäische Verständigung durch Austausch gelebt und im Dialog konkret und greifbar. Betrachtet man die einzelnen Wahlergebnisse in den Wojewodschaften (zumindest organisationstechnisch vergleichbar mit den deutschen Bundesländern, wenn auch ohne föderale Kompetenzen) fällt auf, dass in den westlichen Wojewodschaften durchweg Komorowski und in den östlichen Wojewodschaften durchweg Duda vorn liegt. Mich überrascht das nicht wirklich. Die westlichen Wojewodschaften Zachodnio-Pomorskie, Lubuskie und Dolnosląskie sind über die Arbeit in Euroregionen mit deutschen Partnerkommunen im Austausch stark verbunden. Die vom Tourismus profitierenden Regionen in Masuren, Pommern und an der Ostsee haben stete Begegnung mit Menschen aus anderen EU-Staaten. In den östlichen Wojewodschaften ist die Angst vor den politischen Gegebenheiten in der Ukraine schon aus geografischer Nähe größer. Harte politische Aussagen a la PiS kommen hier besser an. Bedenkt man, dass alleine in Brandenburg laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2013 11.792 Personen (7.955 davon sozialversicherungspflichtig) mit polnischer Staatsangehörigkeit beschäftigt waren und das etwa 1/3 der sozialversicherungspflichtigen polnischen Beschäftigten Grenzpendler*innen sind, wird deutlich, welche positiven Ausmaße der Austausch an der polnisch-deutschen Grenze inzwischen angenommen hat. Die polnische Migrationsgruppe ist nach wie vor die zweitgrößte in Deutschland. Darin besteht zweifellos eine erhebliche Chance, die es zu nutzen gilt. Die polnischen Migrant*innen und Polen als Nachbarland müssen ernster genommen, mehr in die Abläufe europäischer Entscheidungsfindung eingebunden werden, gerade auch im Hinblick auf Prozesse in Ostmitteleuropa. Die mediale und die gesellschaftliche Aufmerksamkeit müssen sich mehr unseren polnischen Nachbar*innen zuwenden. Zu oft noch wird auch in Polen die Europäische Union als Spielwiese Deutschlands, Frankreichs und eines – vor allem eigeninteressierten – Großbritanniens wahrgenommen. Hier müssen auch wir uns für eine Veränderung des Miteinanders in der Europäischen Union einsetzen.

Voraussichtlich im Oktober 2015 finden in Polen Sejmwahlen statt. So paradox es ist – wir sollten hoffen, dass die PO als Siegerin aus diesen Wahlen hervor geht. Neben den traurig-skurrilen Debatten polnischer Innenpolitik (Beispiel: künstliche Befruchtung. Der neue Präsident Duda ist dagegen, die Kirche sowieso, Hallelujah, 21. Jahrhundert und so.), geht es allzu oft um tatsächliche soziale Sorgen. Fragen von Rente, Arbeitsmarkt und Ausbildung beschäftigen die Menschen genauso wie das nicht weg zu diskutierende Angstmotiv bezogen auf die Ereignisse noch weiter im Osten. Man sollte meinen, dass die polnischen Sozialist*innen sich gerade in Fragen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mit progressiven Inhalten profilieren könnten. Im Moment scheinen sie aber selbst nicht genau zu wissen, wo sie hin wollen. Stattdessen tendieren insbesondere viele jüngere Leute zur Proteststimme und wählen etwa den krude auftretenden Rockmusiker Kukiz, der im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen auf etwa 20 % Stimmen kam oder das derzeitige Enfant terrible der polnischen Politik, den Europaparlamentarier Janusz Korwin-Mikke, der das Frauenwahlrecht abschaffen und Polen aus der Europäischen Union lösen will. Sein „Stern“ sinkt aber glücklicherweise momentan wieder erheblich.

Kaczyński jedenfalls will zurück an die Macht. Die Zeit wird zeigen, ob Duda sich als Präsident von ihm lösen und eigenständig auftreten kann oder als Marionette des Parteichefs im Präsidentenpalast agiert. Sollte Kaczyński erfolgreich sein und erneut Ministerpräsident werden, wird dies nicht nur die Beziehungen auf Regierungsebene stören. Darum sollten wir endlich unsere Sichtweise auf Polen ändern, es stärker einbeziehen und es ernst nehmen. Nur so kann auf Dauer ein Rückschritt in rechtspopulistische Politik verhindert werden. Europa hat mehr mit den Ergebnissen in Polen zu tun, als wir glauben.

Autor:

Felix Bethmann, stellv. Landesvorsitzender der Jusos Berlin

Der Autor: Jusos Berlin

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